Mela, German
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Lise Meitner spricht aus der Vergangenheit zu uns.

Ihr Brief an Otto Hahn könnte aktueller kaum sein.





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Ich habe Dir in diesen Monaten in Gedanken sehr viele Briefe geschrie- ben, weil mir klar war, daß selbst Menschen wie Du und Laue die wirkliche Lage nicht begriffen hatten. Das merkte ich u[nter] a[nderem] so deutlich, als mir Laue gelegentlich Wettsteins Tod schrieb, daß sein Tod auch ein Verlust im weiteren Sinn sei, weil W[ettstein] mit seinen diplomatischen Fähigkeiten beim Kriegsschluß von großem Nutzen hätte sein können. Wie sollte ein Mann, der sich niemals gegen die Verbrechen der letzten Jahre gewendet hat, von Nutzen für Deutschland sein? Das ist ja das Unglück von Deutschland, daß Ihr alle den Maßstab für Recht und Fairness verloren hattet. Du hattest mir selbst im März 1938 erzählt, daß Hörlein Dir gesagt hat, daß schreckliche Sachen gegen die Juden gemacht werden würden.
Er wußte also von allen den geplanten und später ausgeführten Verbrechen und war trotzdem Mitglied der Partei und Du hast ihn - auch trotzdem - für einen sehr anständigen Menschen angesehen und Dich von ihm in Deinem Verhalten gegenüber Deinem besten Freund bestimmen lassen Ihr habt auch alle für Nazi-Deutschland gearbeitet und habt auch nie nur einen passiven Widerstand zu machen versucht. Gewiß, um Euer Gewissen los zu kaufen, habt Ihr hier und da einem bedrängten Men- schen geholfen, aber Millionen unschuldiger Menschen hinmorden lassen, und keinerlei Protest wurde laut.
Ich muß Dir das schreiben, denn es hängt so viel für Euch und Deutschland davon ab, daß Ihr einseht was Ihr habt geschehen lassen. Es ist hier im neutralen Schweden schon lange vor Kriegsende diskutiert worden, was man mit den deutschen Gelehrten nach Beendigung des Krieges tun soll. Wie mögen erst die Engländer und Amerikaner darüber denken? Ich und viele andere mit mir meinen, ein Weg für Euch wäre eine offene Erklärung abzugeben, daß Ihr Euch bewußt seid, durch Euere Passivität eine Mitverantwortung für das Geschehene auf Euch genommen zu haben, und daß Ihr das Bedürfnis habt, soweit das Geschehene überhaupt gut gemacht werden kann, dabei mitzuwirken. Aber viele meinen, es sei zu spät dafür.

Mela,
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Mela,
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Otto Hahn hat diesen Brief allerdings, leider, nie erhalten, da er zu diesem Zeitpunkt interniert war.
3/3

mina,
@mina@berlin.social avatar

@Mela

Was dieser Brief unfassbar klar macht, ist, wie bekannt die Verbrechen zu ihrer Zeit und bereits vorher waren (nicht, dass ich je daran gezweifelt hätte, aber die Lebenslüge der BRD war ja stets, dass da 2 Dutzend Oberbösewichte ein ganzes Volk gehirngewaschen hätten).

Niemand konnte sich mit Nichtwissen herausreden.

Gerade die Intellektuellen müssen sich stets ihrer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst sein.

Das galt damals und das gilt auch heute.

Mela,
@Mela@zusammenkunft.net avatar

@mina ja

alexanderspree,

@Mela
ich finde es übertrieben zu sagen dieser Brief könne kaum aktueller sein. Ich glaube nicht, dass die Verhältnisse heute sind wie sie damals waren. Bei allem Respekt für die Leute die gerade in großer Anzahl auf die Straße gehen, glaube ich nicht, dass wir kurz vor einer Machtergreifung durch Rechtspopulisten stehen. Demonstrationen als Zeichen des Widerstandes gegen rechtes Gedankengut begrüße auch ich. Besonders als Signal für das Ausland, dass in DL die Mitte weiter die Mehrheit ist.

Mela,
@Mela@zusammenkunft.net avatar

@alexanderspree Wie gesagt, der Brief könnte aktueller nicht sein. Wie auch heute die Gefahr durch Rechtspopulisten im Land und in Ländern um uns herum ignorieren, wie auch die faktische Abnahme von Demokratien weltweit, so ignorierten die Menschen damals die Gefahr. Und Meitners Aussage, dass Deutsche das Maß für Recht und Fairness verloren hatten, ist spätestens seit 2020 für Teile der Bevölkerung absolut korrekt.

oliver_schafeld,
@oliver_schafeld@mastodon.online avatar

Anscheinend online verfügbar (allerdings gegen Gebühr):

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-0348-9008-3_108

Mela,
@Mela@zusammenkunft.net avatar

@oliver_schafeld Und auf Englisch. Ich wollte möglichst keine Übersetzung oder Rückübersetzung, daher Buch.

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